Nicaragua – viel besser als sein Ruf

 


Unsere Erwartungshaltung zu Nicaragua war neutral. Vielleicht deshalb weil das Land auf eine turbulente Geschichte zurückblickt und wir es nicht einschätzen konnten.

Nach jahrzehntelanger Ausbeutung durch die Diktator Herrschaft  der Somoza Familie, einem verheerendem Erdbeben das 1972 die Hauptstadt Managua fast komplett zerstörte und dem darauffolgenden blutigen Bürgerkrieg in den 80igern war das Land ein Trümmerhaufen. Die ersten Schritte als Demokratie zu funktionieren scheiterten teilweise an Korruption und der mittlerweile Langzeit Präsidentschaft Daniel Ortegas. Proteste gegen Wahlbetrug und Verfassungsänderungen wurden 2018 brutal niedergeschlagen und schwellen bis heute im Untergrund weiter.


 Mit diesem Wissen nahmen wir den total chaotischen Grenzübertritt gelassen.

Fünf Stunden dauerte die Prozedur. Es war wie ein Hürdenlauf aber ohne Wegweiser.Ein paar Dollar für diese Genehmigung, ein paar Dollar für jene, ein Schalter im Gebäude links, Zollkontrolle am Parkplatz rechts, Scanner Durchfahrt wieder woanders. Wir liefen im Kreis, fragten und fragten und stolperten langsam über alle notwendigen Abwicklungsschritte.

Gleich hinter der Grenzausfahrt besorgten wir uns auch noch eine KFZ Versicherung. Die gab es direkt vom Strassenstand zum Einheitspreis. Mehr eine Gewissensberuhigung als wirkliche Absicherung.


Übrigens haben wir trotz strengem Einfuhrverbot unsere Drohne erfolgreich ins Land gebracht. Nicht das erste Land wo wir sie im Vorfeld gut verstecken mussten.

Endlich unterwegs fanden wir Nicaragua aber sofort sympathisch. Genauso hatten wir uns Mittelamerika vorgestellt. Lebendig, ursprünglich, quirlig. Keine sterilen Supermärkte sondern viele kleine Greisslereien, am Strassenrand Verkaufsstände mit lokalem Obst und Gemüse und rustikale Restaurants mit Comida tipica, einheimischer Küche.


 
Die Armut eines Landes lässt sich rasch an Hand der Verkehrsteilnehmer einschätzen und Nicaragua gehörte zu den ärmsten. Pferdekarren hatten wir schon in so manchen Ländern gesehen aber Ochsengespanne waren neu. Privatautos blieben einer kleinen reichen Oberschicht vorbehalten. Das häufigste Verkehrsmittel neben den mächtigen Freightlinern des Güterverkehrs war der gelbe amerikanische Schulbus. Mit diesen ausrangierten Oldtimern schien das Land regelrecht übersät.


 

Er diente als Linienbus oder Ausflugsvehikel wie wir bei unserem Abstecher zum Küstenort San Juan del Sur live erleben konnten.

 Der Malecon, die Strandpromenade war vollgeparkt mit diesen Bussen. An Wochenenden kamen die Leute damit von weit her um einen vergnügten Tag am Strand zu verbringen. Man hatte alles dabei, von Kühlbox bis Plastikstuhl. Was nicht in den Bus passte wurde am Dach transportiert. 


Dabei ist San Juan für nicaraguanische Verhältnisse ein Nobelort. Neben dem einfachen Volk das per Bus anreist tummelt sich hier ausnahmsweise auch die Oberschicht mit ihren Autos. Sogar Amerikaner haben diesen Flecken als billige Auswanderalternative zu Costa Rica entdeckt und in die neuerrichtete Marina verirren sich manchmal kleine Kreuzfahrtschiffe. Diese Infrastruktur kam auch uns zugute denn wir parkten am gesicherten Hafengelände, gönnten uns ein leckeres Fischgericht in einem der vielen Restaurants und abends einen Drink in den Bars.

 


Nun wollten wir aber endlich das „normale Nicaragua entdecken und machten uns auf den Weg ins Inland. Die Strassenverhältnisse waren besser als der Reiseführer versprach. Vor grösseren Orten gab es regelmässige schwerbewaffnete Polizei und Militärpräsenz die uns als Tourist jedoch nie tangierte.

 Bald zeigten sich in der Ferne die zwei markanten Vulkankegel der Insel Ometepe. Sie liegt im Nicaragua See, dem grössten Binnensee Mittelamerikas. Am besten lässt sich diese einmalige Szenerie vom kleinen Ort San Jorge einsaugen. Von hier verkehrt mehrmals am Tag eine Fähre zur Insel deren Benutzung wir aber wegen des starken Windes nicht in Betracht zogen.


 
Wir erreichten den Ort wieder einmal am Wochenende. Es schien als hatte sich halb Nicaragua am Seeufer versammelt.

Mühsam zwängte sich unser Iveco mit eingeklappten Spiegeln durch die rechts und links parkenden Schulbusse um die Einfahrt zu einem kleinen Campingplatz zu erreichen.

Danach warfen wir uns schnell in das Strandgetümmel und durften das Treiben des einfachen Volkes erleben. 


Gebadet wurde in normaler Kleidung, Badeanzüge kann sich hier niemand leisten. Anstelle von Restaurantbesuchen labte man sich an einfachen Essenständen. Es gab frittierten Fisch oder Kochbananenchips mit Hendl und scharfer Sosse. Das Getränk schlürfte man aus dem Sackerl. Die Billigvariante zu teuren Plastikbechern. Ein Plastiksackerl wird ordentlich mit Eis befüllt und mit dem gewünschten Softdrink aufgegossen verknotet und mit einem Strohhalm versehen. Sehr effizient nur abstellen lässt es sich nicht.

Die Stimmung war fröhlich und freundlich. Obwohl wir die einzigen „Weissen“ waren fühlten wir uns wohl und willkommen.


 
Unser nächstes Ziel war Granada. Eine alte spanische Kolonialstadt mit grosser Basilika und gut erhaltener spanischer Architektur. Von unserem zentralen Parkplatz beim Roten Kreuz aus konnten wir alles bequem zu Fuss erkunden. Am meisten begeisterte das Marktgelände. Wir verlieren jegliches Zeitgefühl wenn wir durch Märkte schlendern. Es ist für uns der beste Ort um ein Land kennenzulernen. Die Mentalität, die Waren, die Gebräuche, die Düfte und Aromen. Die Menschen waren unglaublich entspannt, animierten uns sogar Fotos zu machen und freuten sich auch mal Ausländer zu sehen. Ein grossartiges Erlebnis.


 
Abends unternahmen wir einen Ausflug in den Massaya Nationalpark. Nicaragua liegt entlang des weltweit grössten zusammenhängenden Vulkangürtels. Der sogenannte Ring of Fire reicht von der Westküste Südamerikas über Zentral- und Nordamerika und Japan bis in die Südsee.

Für kleines Geld chauffierte uns ein Taxifahrer bis zum Gipfelparkplatz des gleichnamigen Vulkans. Von kleinen Aussichtsplattformen blickt man direkt in den Krater mit brodelnder feuerroter Lava. Beeindruckend und beängstigend zugleich. Als unsere Augen von den aufsteigenden Dämpfen zu brennen begannen wurde es Zeit diesen Ort zu verlassen. 


Es zog uns wieder zur Pazifikküste in das Küstenstädtchen Masachape. Wieder einmal hatten wir mit tiefhängenden Kabeln und herunterhängenden Ästen zu kämpfen und fanden nur einen mässigen Stellplatz am Strassenrand. Per Fahrrad erkundeten wir die Gegend und den Strand und kundschafteten so einen viel besseren Parkplatz im Nebenort Pochomil aus.


 
Dort gab es ein riesiges Wiesengelände das als Busparkplatz diente, bewacht und gleich hinter der Strandpromenade. Die Wachleute am Eingang freuten sich über unseren Besuch und bestärkten uns hier zu bleiben.

 Schon wieder war Wochenende aber dafür war auch richtig was los. Die Restaurants am Strand waren voll. Diejenigen die mit Bussen anreisten mieteten sich gegen geringe Gebühr überdachte Tische und Hängematten und verbrachten den Tag als Selbstversorger.



Wer mit dem eigenen Auto ankam konnte direkt in das überdachte Restaurantgelände einfahren und quasi neben dem Tisch parken. Es wurde getrunken und geschlemmt. Überall im Angebot Flor de Cana, der in Nicaragua produzierte Zuckerrohrschnaps.



Endlich fanden wir auch eine Fahrradwerkstatt für Alfreds Mountainbike. Die Speichen brachen langsam auseinander weil sie Rost angesetzt hatten. Leider entsprechen europäische Felgendimensionen nicht den hierzulande üblichen und die Reparatur gestaltete sich schwieriger als gedacht. Es dauerte drei Tage die Felge mit komplett neuen Speichen auszurüsten und halbwegs zu wuchten. 


Unser nächstes Ziel war Leon. Wieder eine alte Kolonialstadt der Spanier. Wir fanden einen Stellplatz nahe dem Zentrum auf einem bewachten eingezäunten Mietparkplatz.

 Leon schien ein beliebtes Ziel für Traveller zu sein. Das Markterlebnis fanden wir deshalb etwas distanziert. Zu viele nur gaffende und geführte Tourgruppen werden hier durchgeschleift. Mehr Gefallen fanden wir an den vielen Buffetrestaurants der Stadt. Für ein paar Euros gab es richtig gutes Essen. 



Eigentlich wollten wir noch einmal zur Küste doch die Strasse dorthin war am anderen Ende der Stadt und es gab keine vernünftige Anfahrt. Wir scheiterten bereits nach wenigen Kilometern an zu tiefhängenden Ästen und verzichteten entnervt auf die Weiterfahrt. Dazu kam die Hitze. Seit Tagen zeigte das Thermometer 40 Grad und auch die Nächte lagen nie unter 30. Die Klimaanlage im Aufbau lief auf Hochtouren. Mittags produzierte unsere Solaranlage die erforderlichen Watt problemlos aber für einen durchgehenden Betrieb hätten wir den Generator anwerfen müssen um die Batterien wieder voll aufzuladen. 


So liessen wir die Küstenregion hinter uns und erreichten bald die betriebsame Stadt Estelli. Umgeben von Farmland und Tabakplantagen liegt sie auf angenehmen 800 Metern Seehöhe. Erholung pur. 



Es war Karfreitag und in der Kathedrale am Hauptplatz fand gerade ein Umzug statt. Mittelamerika ist durch den spanischen Einfluss christlich geprägt und sehr gläubig. Leider durften dieses Jahr keine Umzüge ausserhalb von Kirchen stattfinden und so umkreisten die Gläubigen mit Marienstatuen und Kreuzen nur das Kirchengelände. Präsident Daniel Ortega steht mit kirchlichen Organisationen seit längerem auf Kriegsfuss und betrachtet sie als Unterstützer von Oppositionellen. 


Insgesamt verbrachten wir drei Tage in Estelli obwohl wir auf einem LKW Stellplatz parkten. Ausnahmsweise ein ruhiger wenig frequentierter Ort auf dem wir Energie für die Weiterreise nach Honduras sammeln konnten.