Carretera Austral - Chiles Ende der Welt




Nach dem Grenzposten am Paso Roballo befanden wir uns erstmalig in Chile. Mit einem Schlag änderte sich nicht nur die Vegetation sondern auch das Wetter. Zur Begrüssung fegte ein Graupelschauer über uns hinweg und verwandelte die üppig grünen Wiesen und bewaldeten Berghänge in zartes weiss.




Die Anden bilden eine Wetterscheide die das fast ausschliesslich aus Westen kommende Schlechtwetter auf chilenischer Seite abfängt und einen gemässigten Regenwald entstehen liess. Wir fanden einen ruhigen Übernachtungsplatz, heizten uns gemütlich ein und warteten bis zum nächsten Morgen. Im Sonnenschein verfolgten wir die Piste weiter.


Sie führte direkt durch den Nationalpark Patagonia. Ein Park der aus dem Naturschutzprojekt eines US-amerikanischen Milliardärs entstand der in den 90iger Jahren riesige Landflächen in Chile erwarb um sich seine privaten Wander- und Erholungsgebiete zu gestalten. Im Laufe der Jahre entstanden daraus Nationalparks die teilweise dem chilenischen Staat zur Verwaltung zurück übertragen wurden. Der Park umfasst ein natürliches Flusstal mit schmalen Canyons und breiten Sumpfwiesen umgeben von beeindruckender Berglandschaft. Die Fahrt war einsam. Auf der gesamten Strecke begegneten uns nur wenige Autos, die meisten davon waren Ranger Pickups.


Kurz vor dem Park Ende erreichten wir das Park Headquarter. Ein überraschend feudales Anwesen mit Luxus Villen die zur Vermietung errichtet wurden, einem noblen Restaurant und natürlich einem Hubschrauber Landeplatz. Reiche Menschen kommen eben nicht mit dem Bus. Man vergisst dabei fast wo man sich befindet, nämlich im absoluten Nichts.


Der Süden Chiles ist so abgelegen dass bis vor wenigen Jahrzehnten nicht einmal eine Strasse existierte. Seine Topographie ist extrem. Steile Berge, tiefeingeschnittene Flüsse und von Steilwänden umgebene Seen und Meeresfjorde. Dazu noch eine Küstencordillera mit riesigen Gletschern und felsigen Gipfeln. Bis vor hundert Jahren besiedelten nur einige Indianerstämme diesen Landstrich. Die wenigen Siedlungen waren ausschliesslich per Boot zu erreichen. Um die Kontrolle des chilenischen Staates zu verstärken wurde unter grösster Anstrengung in den 80iger Jahren mit dem Bau einer Piste begonnen, der Carretera Austral oder südlicher Highway wie sie auch genannt wird.


 Wir hatten schon Fotos von ihr gesehen aber die Realität toppte unsere Vorstellungskraft. Sie war kaum breiter als die kleine Parkpisteud schlängelte sich ausgesetzt und kurvig die Berghänge entlang. Uns wurde etwas schummrig bei diesem Anblick, vor allem mir, denn ich bin nicht schwindelfrei und mag es gar nicht wenn neben dem Unimog eine senkrechte Wand in die Tiefe zieht. Doch es nützte nichts wir mussten weiter.


Weil wir weder chilenisches Geld noch Lebensmittelvorräte hatten mussten wir die Carretera Austral zuerst weiter Richtung Süden bis zum Städtchen Cochrane verfolgen. Es war die einzige Versorgungsmöglichkeit im Umkreis. Die strengen Einfuhrbestimmungen hatten unsere Vorratskammer gelehrt, ein Einkauf war dringend notwendig.


 Auf den ersten Metern der Strecke machten wir gleich Bekanntschaft mit der aggressiven Fahrweise der Chilenen. Man ist nicht so entspannt wie in Argentinien, es wird überholt wo immer man sich befindet und Lastwagenfahrer benehmen sich wie Raser. Für die geringe Bevölkerungsdichte herrschte ziemlicher Verkehr. Wir sahen aber auch vor jedem noch so kleinen Farmhaus ein Auto parken. Der Lebensstandard der Chilenen ist eindeutig höher als im benachbarten Argentinien. Überall verliefen Stromleitungen und jeder Winkel hat ein Telefonnetz, Chile wird ja auch zu den „erste Welt“ Ländern gezählt.


 Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis wir den zwanzig Kilometer entfernten Ort erreichten. Wir steuern meistens als erstes den Hauptplatz an und auch diesmal fanden wir dort den Bankomaten und einen Supermarkt, freies Internet gab es obendrein. Da befindet man sich fast am Ende der Welt und doch in der Zivilisation. Der Unterschied war nur das alles super teuer war.


Die Gebühr für die Bargeldabhebung betrug satte 10 Prozent, unser bisheriger Rekord in Südamerika. Im Supermercado gleich der nächste Schock. Die langen Transportwege schlagen sich auf die Preise und auf das Sortiment. Jegliche Frischware war nahe dem Verfallsdatum, also Obst und Gemüse entsprechend schrumpelig und Fleisch war nur tiefgekühlt erhältlich. Aber nicht hygienisch abgepackt sondern man bediente sich aus grossen Säcken und suchte sich mit blosser Hand die passenden Stücke heraus. Am appetitlichsten sah noch das Rindfleisch aus, Importware aus Brasilien.

Weiter in den Süden zog es uns nicht. Die Carretera Austral ist eine Sackgasse und eine doppelte Befahrung fanden wir unlohnend. Zudem verhiess der Wetterbericht Schneefall und Glätte, also ab nach Norden. Die Landschaft war spektakulär und es störte nicht dass wir nur langsam voran kamen denn wir hatten genügend Fotomotive. Türkisblauen Gletscherflüsse und Seen, ausgedehnte Wälder mit Urwald Baumriesen oder mit Gletschern bedeckte Berge, es war grossartig, aber auch anstrengend zu fahren.


Etwas problematisch war die Suche nach Übernachtungsplätzen. Überall war es abschüssig oder eng, wir hatten echt Mühe. Einen richtigen Campingplatz fanden wir erst wieder in Puerto Tranquillo, einem Ort am zweit grössten See Südamerikas, dem Lago General Carrera. Chile teilt ihn mit Argentinien. Sein Wasser schimmert türkisblau und wird aus Gletscherabflüssen gespeist. Im Ort trafen wir erstmalig auf einige Touristengruppen. Sie kommen aus der Provinzhauptstadt um die Marmorhöhlen zu besuchen. Die Steilhänge bestehen aus purem Marmorgestein und bilden am Seeufer kleine Grotten die auch wir bei einer Bootsfahrt besichtigten.


 Im weiteren Streckenverlauf beginnt ein Baustellen Marathon. Bagger sind im Einsatz um kleine Murenabgänge zu beseitigen oder Felsbrocken von den extrem steinschlaggefährdeten Passagen wegzuräumen. Wir waren froh nicht bei Schlechtwetter unterwegs zu sein. Die Hänge sind kaum zu befestigen, das Gelände scheint der Albtraum jedes Strassenbau Ingenieurs zu sein denn jeder Meter muss mühsam den Bergen abgerungen werden. Eilig darf man es nicht haben den bei einem Gegenverkehrsbereich verbrachten wir gleich einen ganzen Nachmittag weil die Strecke für Stunden gesperrt war.


 Weiter nördlich erreichten wir die Provinzhauptstadt Coyhaique. Wir hatten Glück denn wir erfuhren dass nur wenige Tage zuvor Demonstrationen und Strassensperren stattfanden. Chile kippte von einem Tag zum anderen vom stabilen Staat in ein Land mit Ausnahmezustand. Die Bevölkerung begann mit Protesten gegen die Regierung. Auslöser war die Erhöhung der Metrogebühren in der Hauptstadt Santiago. Die Kluft zwischen arm und reich war zu gross geworden.


Wir hielten uns deshalb auch nicht lange in grösseren Städten auf und fuhren weiter nach Puerto Chacabuco. Eine unattraktive kleine Hafenstadt deren Attraktion für uns das Erreichen der Pazifikküste war. Obwohl es gar nicht wie ein Meer aussah denn man befindet sich in einer Fjordlandschaft, das offene Meer ist meilenweit entfernt.


Gerne hätten wir eine Bootsfahrt zum Hängegletscher San Raffael unternommen doch leider war das Wetter zu schlecht und drei Tage bis zum Auslaufen des nächsten Schiffes wollten wir an diesem Ort nicht verbringen. Wenigstens verläuft die Carretera Austral hier bereits auf Asphalt und wir kamen deutlich schneller voran. Trotzdem ist man immer noch im Abseits unterwegs denn es existiert bis heute keine durchgängige Strassenverbindung vom Süden Chiles in den Norden.


Der erwähnte Milliardär erwarb nämlich auch einen grossen Landstrich der vom Meer bis zur Grenze Argentiniens reicht. Er heisst Park Pumalin und ist ein besonders umstrittenes Projekt denn es verhindert den Bau des letzten Verbindungsstückes zwischen Nord und Süd. Somit existiert derzeit keine Möglichkeit auf dem reinen Landweg weiter nach Norden vorzudringen. Entweder man fährt über Argentinien oder nimmt eine der Fähren zum Festland. Naturschutz und wirtschaftliche Entwicklung sind nicht leicht zu vereinbaren.


 Wir entschieden uns für Argentinien. Das Wetter hatte mittlerweile auch umgeschlagen. Es regnete in Strömen und war kalt. Unser Unimog hat keinen Durchgang zur Kabine, wir müssen aussteigen um hinten wieder einzusteigen. Bei diesem Wetter wenig spassig. Noch dazu schleppt man sich auch den Schlamm ins Auto. Die nächste Möglichkeit wieder ins trockene Argentinien zu wechseln war eine Piste über den Paso Frias. Die nahmen wir.


Wieder führte ein natürliches enges Flusstal in den Anden Hauptkamm hinein. Anfangs ziemlich steil und ausgesetzt an der Felswand verlaufend wurde es weiter oben offener und flacher und mündete in ein Hochtal. Für die Kleinheit der Piste war ordentlich Verkehr. Das Tal war fast bis oben hin besiedelt und wir begegneten sogar einem überlangen Viehtransporter, zum Glück aber auf breiteren Pistenabschnitt. Nach dem letzten Ort vor der Grenze, der wie überall in Chile gut funktionierendes Internet und eine Stromanbindung hatte öffnete sich die Landschaft und ging in ein Hochtal über.


Der Grenzposten befindet sich weit vor der offiziellen Grenzlinie. Es war nichts los aber die Abwicklung dauerte endlos. Zu guter Letzt fragte der Zöllner auch noch nach Fleisch, Obst und Gemüse. - Ja, natürlich hatten wir alles dabei, wir waren voll beladen. Aber es reichte uns, die Warterei , die Fragerei, wir verneinten mit so einer Selbstsicherheit dass er sich nicht traute genauer zu kontrollieren. Und dann – Bienvenidos Argentina – dasselbe nochmal in Grün.